D. Derungs: Die Geschichte des Hockey Clubs Davos

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Titel
HCD 1921–2021. Die Geschichte des Hockey Clubs Davos: Gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Perspektiven


Autor(en)
Derungs, Daniel
Erschienen
Zürich 2021: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
309 S.
von
Engel Simon

Die Geschichte des Sports wird in der breiten Öffentlichkeit oft als Rückblende auf grosse Siege und verheerende Niederlagen betrachtet, insbesondere Medien und Vereinschroniken bedienen sich dieser meist anekdotenhaften Geschichten. Wohl deswegen fristet die Sportgeschichte als akademische Disziplin in der Schweiz immer noch eine Aussenseiterrolle, obwohl sie eigentlich sehr viel zu erzählen hat: Sport reflektiert immer gesellschaftliche Prozesse und eröffnet deshalb neue, (trans‐)nationale sozial-, wirtschafts-, kultur-, medien- und politikhistorische Perspektiven.

Die Dissertation von Daniel Derungs über die 100-jährige Geschichte des Hockeyclub Davos (HCD) reiht sich in dieses Vorhaben ein. Derungs stellt sich die übergeordnete Frage, warum ausgerechnet der HCD der einzige noch verbleibende Schweizer Eishockey-Profiverein aus dem Alpenraum ist, finden sich doch die Anfänge des Schweizer Eishockeys in den alpinen Gebieten der Romandie und Graubündens: Die Sportart wurde in diesen Gegenden Ende 19. Jahrhundert durch Touristen in Luxushotels und Schülern von Eliteinternaten aus dem angelsächsischen Raum bekannt und verbreitet. Hinzu kam, dass es in den grossen Städten des Schweizer Flachlandes Kunsteisbahnen (und dementsprechend auch Eishockeyvereine) erst ab 1930 gab und die alpinen Orte mit ihren günstigen klimatischen Bedingungen für Natureis lange einen natürlichen Standortvorteil hat- ten.

Die ersten Schweizer Eishockeyvereine wurden deshalb in Villars, Le Rosey oder eben – wenn auch vergleichsweise spät – in Davos gegründet. Villars und Le Rosey spielen heute in den Niederungen der Amateurliga, der HC Davos hingegen tritt auch noch 100 Jahre später in der Spitzenklasse gegen Clubs aus wirtschaftlich potenteren Zentren wie Zürich, Bern und Genf an. Derungs hat zur Frage ‹Warum Davos?› sechs Schwerpunkte herausgearbeitet, die sich durch das Zentenarium des Clubs ziehen: Die Symbiose zwischen dem HC Davos, dem Spengler Cup und der lokalen Tourismuswirtschaft; das Verhältnis zwischen Sport und Politik; die Rolle von ausländischen Spielern und Trainern; die Fankultur und die Sozialmilieus; die Medialisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sports sowie die natürlichen Bedingungen der alpinen Davoser Geografie.

Insbesondere die ersten zwei Schwerpunkte scheinen die Basis für das Funktionieren des HCD zu sein, der Autor stellt hier sehr überzeugend aus Quellenbeständen wie Jahresberichten oder Vorstandsprotokollen vielfältige Zusammenhänge dar: Ohne die im 19. Jahrhundert auftauchenden angelsächsischen Wintertouristen hätte es in Davos wohl noch länger kein Eishockey und die dazugehörige Infrastruktur gegeben. Damit hätten auch die Grundlagen für die Gründung des HCD und des mit dem Verein eng verbunde nen Spengler Cups gefehlt. Die Verflechtungen zwischen den drei Faktoren wirken bis heute auf der organisatorischen, personellen und insbesondere finanziellen Ebene nach. So wurde der Bau des Eisstadions in den 1950ern vom Kurverein finanziert, im Wissen, dass der HC Davos und der Spengler Cup wichtige Pfeiler des Standortmarketings darstellen. Zudem fliessen seit jeher die Gewinne des Spengler Cup zum HCD und bilden damit eine äusserst wichtige finanzielle Stütze für den Verein. Von der Anziehungskraft des Eishockeys profitiert auch die Gemeinde Davos: Als Gegenleistung für die Defizitgarantie beim Spengler Cup erhält sie einen gewissen Prozentsatz aus den Ticketeinnahmen.

Bezüglich der personellen Verflechtungen zwischen Sport und Politik wirken die historischen Analysen von Derungs hingegen zum Teil etwas pauschal. So wird beispielweise die Wahl des ehemaligen HCD-Präsidenten Tarzisius Caviezel zum Landammann von Davos bloss in einem Satz als Unterstreichung für «das enge Verhältnis zwischen Sport und Politik im Landwassertal» beschrieben. Zur Entlastung muss hier aber angemerkt werden, dass dies wohl auf fehlende Quellenbestände zurückzuführen ist, fiel doch ein Teil des HCD-Archivs 1991 einem Brand zum Opfer. Nichtsdestotrotz hätte hier zum Beispiel schon die Annahme der simplen Prämisse, dass sich Sport im Dreieck von Masse, Macht und Märkten bewegt und politische Akteure dementsprechend den Sport als Bühne nutzen, gereicht, um tiefergreifende Thesen über das Agieren Caviezels aufzustellen. Als Fremdkörper im Text wirken manchmal auch die präsentierten zeithistorischen Kontexte, weil ihre möglichen (in)direkten Einflüsse auf den HC Davos nicht konsequent zur Sprache kommen.

Sehr überzeugend sind dafür die sportpolitischen Aspekte der Auslandsreisen des HCD und des Spengler Cups dargestellt. So startete der Spengler Cup nach dem Ersten Weltkrieg explizit als Projekt der «Völkerverständigung». Deshalb wurden auch die nach beiden Weltkriegen zunächst international geächteten deutschen Mannschaften eingeladen. Ganz auf der Linie der offiziellen Schweizer Sportpolitik lud der HCD auch Mannschaften aus Nazi-Deutschland und später dem Ostblock zum Spengler Cup ein. Derungs’ Darstellung zeigt die vielfältigen Potenziale einer akademischen Sportgeschichte insbesondere dann auf, wenn er mit Archivmaterial arbeiten kann: Anhand von Mannschaftslisten, der Entwicklung der Eintrittspreise und der im Stadion präsentierten Werbung kann er aufzeigen, wie sich das Eishockey allmählich von einem Eliten- zu einem Massenvergnügen entwickelte. Insofern ist das Werk auch eine implizite Aufforderung an Vereine und Verbände, Sorge zu ihrem historischen Erbe zu tragen und zugleich ein methodisches Referenzwerk für die künftige Forschung, um die in der Schweiz noch unzähligen brachliegenden sporthistorischen Quellenbestände aufzuarbeiten.

Alle präsentierten Aspekte bringen Derungs zur Schlussfolgerung, dass der HCD ein Sonderfall innerhalb der Schweizer Hockeyszene sei. Korrekterweise schränkt er aber ein, dass nur ein Vergleich mit den frühen Eishockey-Orten wie Le Rosey oder Villars die Nobilitierung mit diesem Reizbegriff der Historiografie besser fundieren würde. Ein erster Anfang ist dem Autor jedoch wie gesehen gelungen.

Zitierweise:
Engel, Simon: Rezension zu: Derungs, Daniel: HCD 1921–2021. Die Geschichte des Hockey Clubs Davos: Gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Perspektiven, Zürich 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72(3), 2022, S. 476-477. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00114>.

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